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Grüngelbe Feder

Dr. Beatrice Hendrich vom Orientalischen Seminar über eine grüngelbe Schwanzfeder.

Jeder kennt sie, jeder hat sie. Dinge, die unter den vielen Gegenständen, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben, einen besonderen Stellenwert haben. Wir verbinden sie mit einer Person, einer Begegnung oder einem besonderen Augenblick. Wir haben uns umgehört und gefragt, welche Dinge unseren Lesern besonders wichtig sind, und uns ihre Geschichte erzählen lassen. Professorin DR. BÉATRICE HENDRICH vom Orientalischen Seminar über eine grüngelbe Schwanzfeder:

„Eine grüngelbe Feder – im Sommer habe ich eine grüngelbe Schwanzfeder auf dem Boden gefunden. Auf der Straße, vor meinem Büro, mitten in Köln. Seither liegt sie auf meinem Schreibtisch und grüßt mich freundlich, sooft ich sie anblicke. Diese Feder gehörte zu einem Vogel, den es eigentlich hier nicht geben dürfte. 

Ein Bioinvasor, freundlicher gesagt: eine Neozoon, ein tierischer Neubürger, ein Halsbandsittich. Wo ich aufgewachsen bin, gibt es keine Sittiche in Freiheit. Es ist zu kalt, nicht nur für die Sittiche, auch für mich. Wo ich aufgewachsen bin, gibt es Scharen von Krähen und Dohlen auf den Wiesen vor der Universität. Sie ernähren sich von überfahrenen Kaninchen, auch davon gibt es reichlich, und jagen Enten. 

Auf dem Weg zur Bibliothek fühlt man sich manchmal wie in Hitchcocks „Die Vögel“. Krähen sind übrigens, taxonomisch gesprochen, Singvögel. Auch die Wissenschaft kann irren. Seit ich in Köln arbeite, blicke ich auf dem Weg zum Büro in die Baumkronen und spitze die Ohren: Plaudert und ruft es irgendwo dort oben, kann ich in der tiefstehenden Herbstsonne noch einen pfeilschnellen gelben Schatten erkennen? 

Im späten Sommer fliegen die Sittiche in Scharen an meinem Bürofenster vorbei, immer wieder. Und natürlich sind sie dabei laut. Aber aus ihrem Flug spricht die reine Lebensfreude. Und sie zerhacken keine toten Kaninchen. Meine Sittiche leben noch nicht lange in Köln – aber länger als ich. Sie haben überhaupt schon einen langen Weg hinter sich. 

Man sagt, Alexander der Große habe die ersten Exemplare aus Indien mitgebracht nach Griechenland. Von dort aus sind sie weitergezogen in andere europäische Länder, wo der Winter nicht zu hart ist. Oder sie sind als exotisch-schöne Tiere gehandelt worden. Ich blicke auf die Feder und freue mich darüber, dass es einige Halsbandsittiche aus ihren Käfigen in die Freiheit geschafft haben und dort überleben. Ich freue mich darüber, dass ich jetzt in einer Stadt lebe, in der eingewanderte Vögel vor dem Fenster vorbeifliegen.”