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Wie passen sich Pflanzen ihrer Umgebung an?

Ein Unkraut als Modell

 

Weniger Regen, mehr Sonne, sandiger Boden: Wenn eine Pflanze in Tunesien wächst, muss sie sich auf ganz andere Bedingungen einstellen als beispielsweise in Irland. Forscher vom Botanischen Institut untersuchen, wie eine Pflanze derselben Art sich auf genetischer Ebene verändert, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das Wissen wird hoffentlich einmal dabei helfen, die ideale Nutzpflanze zu entwickeln.

 

Hoch oben im fünften Stock des Biozentrums erstrecken sich die klimatisierten Hallen des Gewächshauses. Durch das schräge Glasdach fallen die Sonnenstrahlen herein, zusätzlich verbreiten etliche Lampen ihr helles Licht – im einen Raum etwas kälter und bläulicher, nebenan wärmer und gelber. Auf den beleuchteten Tischen stehen in Plastikschalen und -töpfen die Zöglinge der Botaniker: Mais, Kartoffeln, Zuckerrüben. Besonders häufig vertreten ist aber Arabidopsis thaliana, auf Deutsch Acker-Schmalwand oder Schotenkresse genannt – ein Unkraut. Die Pflanze wird bis zu 30 Zentimeter groß, hat weiße Blüten und ist auf den ersten Blick recht unscheinbar. 

Auch Nicht-Pflanzenkenner werden aber stutzen und sich fragen: Sind diese vielen Pflanzen mit dem Namen Arabidopsis thaliana wirklich alle von derselben Art? Denn mal haben sie kleine Blätter, mal große, mal wachsen die Pflanzen eher gedrungen, mal strecken sie sich weit nach oben – die Acker-Schmalwand sieht von Tisch zu Tisch immer etwas anders aus.  Kein Wunder: Im Gewächshaus züchten die Forscher Arabidopsis-Sorten aus ganz unterschiedlichen Regionen der Erde, einige stammen beispielsweise aus den USA, andere aus Russland, wieder andere von den Kapverdischen Inseln. Nur die Pflanzen, die am gleichen Ort wachsen, sehen im Regelfall auch gleich aus: Arabidopsis hat sich an ihren Lebensraum unterschiedlich angepasst. Natürliche Variabilität nennen die Forscher das Phänomen; Ökotypen oder Sorten heißen diese Variationen der gleichen Art. Von der Acker-Schmalwand gibt es weltweit etwa 1600 unterschiedliche Sorten. „Auch wenn sie ganz anders aussehen“, sagt Marcel Bucher, Professor am Botanischen Institut, „sie sind immer noch miteinander kreuzbar.“ Sie haben sich also nicht zu unterschiedlichen Arten entwickelt.

 

Von der Natur geformt

 

„So wie es verschiedene Hunderassen gibt, die vielleicht schwarzes oder weißes Fell und  kurze oder lange Beine haben, so unterscheiden sich auch die verschiedenen Ökotypen einer Pflanzenart“, sagt Ute Höcker, Professorin am Botanischen Institut. Bei Wildpflanzen hat im Gegensatz zu den Nutzpflanzen und den Hunderassen aber nicht der Mensch seine Hand im Spiel: Die Region, in der eine Pflanze wächst, beeinflusst deren Entwicklung stark. Zum Beispiel: Wie warm ist es dort, wie viel Regen fällt, wie ist der Boden beschaffen, wie hoch ist die UV-Einstrahlung? So formt der Standort das Aussehen und auch die Eigenschaften einer Pflanze, etwa die Größe ihrer Blätter und ihrer Früchte, ihre Blütezeit oder die Länge der Wurzeln.

Diese Unterschiede kommen durch spontane Mutationen zustande; die natürliche Selektion erhält sie, wenn sie der Pflanze einen Vorteil gegenüber anderen Pflanzen bietet. Dieses elementare Prinzip der Evolution kennt man seit Charles Darwins Galápagos-Finken. Ein Geheimnis ist es aber nach wie vor, wie genau die Pflanze sich an ihre Umgebung anpasst, also welche molekularen Mechanismen auf genetischer Ebene dort mitspielen. Das wollen die Kölner Forscher jetzt im Rahmen des beantragten Projektes CEPLAS (Cluster of Excellence on Plant Sciences) genauer untersuchen.

„Zunächst einmal müssen wir wissen, welche Gene für welche Eigenschaft von Arabidopsis thaliana verantwortlich sind“, erklärt Ute Höcker. Die Forscher vergleichen dafür die Genome unterschiedlicher Arabidopsis-Ökotypen, um herauszufinden, welche Änderung im Erbgut die Änderung im Aussehen bewirkt hat. Meistens ist es aber nicht ein einzelnes Gen, das für eine Eigenschaft verantwortlich ist, sondern mehrere: sogenannte regulatorische Netzwerke. Das ist ein kompliziertes Zusammenspiel von Transkriptionsfaktoren, also Eiweißen, die dafür sorgen, dass bestimmte Gene abgelesen werden können.

Das Ziel der Forscher: Einmal den Bauplan einer Pflanzenart genau zu kennen. „Wenn wir  verstehen, wie die Anpassung auf molekularer Ebene funktioniert , dann kann man mit Hilfe dieses Bauplans versuchen, auch andere Pflanzen – Nutzpflanzen – zu verstehen. Denn die Prozesse sind dort sicherlich verwandt“, sagt Ute Höcker. Beispielsweise habe man an Arabidopsis untersucht, wie die Pflanze entscheidet, wann sie blüht. „Die entscheidenden Gene hat man dann in einen Orangenbaum transferiert. Und so hat man den Baum dazu bekommen, früher zu blühen, nämlich bereits, als er gerade ein Jahr alt war.“ Normalerweise blühen Orangenbäume erst, wenn sie ein Alter von mindestens sechs Jahren erreicht haben.

 

Die Maus der Pflanzenforscher

 

Das Unkraut Arabidopsis, ein Kreuzblütler wie Raps, ist die ideale Modellpflanze für die Botaniker. Sie hat im Vergleich zu anderen Pflanzenarten ein relativ kleines Genom mit nur fünf Chromosomen, lässt sich einfach kultivieren und vermehrt sich sehr schnell: Es dauert nur acht Wochen, bis ihre Samen reif sind. Daher wurde auch ihr Genom als erstes Pflanzengenom komplett entschlüsselt; das war im Jahre 2000.

„Die Acker-Schmalwand ist für die Botaniker das, was die Maus für die Säugetierforscher ist: ein Modellorganismus“, sagt Marcel Bucher. Man kann an Arabidopsis einfach Zusammenhänge studieren, wie sie in höheren Pflanzen die Regel sind. Und die Forschungsinfrastruktur ist hervorragend: „Es gibt freie Datenbanken von Arabidopsis-Mutanten im Internet“, erläutert der Forscher. „Wir können sogar für wenige Euro einzelne Mutanten zu nahezu jedem Gen von Arabidopsis bestellen.“

Die Kölner Botaniker gewinnen die DNA der Acker-Schmalwand aus den Blättern der Pflanze und sequenzieren dann das Genom, sie ermitteln also die genaue Abfolge der Basenpaare. „Das war früher eine sehr zeitaufwändige und teure Sache, aber inzwischen lässt sich das komplette Erbgut einer Arabidopsis-Pflanze innerhalb von wenigen Wochen bestimmen“, sagt Höcker. „So wird es jetzt mit den neuen Sequenziergeräten möglich, die natürliche Variabilität von Pflanzen genetisch zu charakterisieren.“ Weltweit haben Forscher bereits das komplette Genom von 200 Arabidopsis-Sorten entschlüsselt, in den nächsten Jahren sollen es tausend werden, genauer: eintausendundeins. So lautet auch der Name des Projektes „1001 Genomes“.

 

Sonnencreme für Pflanzen

 

Die Arbeitsgruppe von Ute Höcker schaut sich Anthocyane in Arabidopsis genauer an – das sind Pflanzenfarbstoffe, die Brombeeren ihre violette Farbe geben. Auch die Acker-Schmalwand bildet Anthocyane in ihren Blättern, und zwar umso mehr, je höher die Lichtintensität ist. „Soweit wir wissen, dienen die Anthocyane der Pflanze als UV-Schutz – sie übernehmen also die Funktion einer Sonnencreme“, sagt Höcker.

Die verschiedenen Arabidopsis-Ökotypen unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit, Anthocyane zu produzieren: einige machen generell viel mehr als andere. Die Forscher vermuten, dass sich die Ökotypen in  sogenannten Master-Regulatoren unterscheiden, das sind Transkriptionsfaktoren, die gleichzeitig auf mehrere Gene wirken. Die verschiedenen Ökotypen variieren darin, wie viel von den Master-Regulatoren eine Zelle herstellt, wie gut sie auf die Gene wirken und wie effizient sie sich vom UV-Licht in Gang setzen lassen. „Wir wollen jetzt herausfinden, wie sich die Master-Regulatoren in der Evolution entwickelt haben“, erläutert Ute Höcker, „um die große Bandbreite an Ökotypen zu verstehen.“ Das untersucht die Biologin in Kooperation mit Martin Hülskamp und Marcel Bucher am Botanischen Institut.

Master-Regulatoren beeinflussen auch, wie viele Blatthaare eine Arabidopsis-Pflanze bildet, dem Spezialgebiet von Hülskamp. Blatthaare sind Strukturen auf den Oberflächen, welche die Pflanzen beispielsweise vor Flüssigkeitsverlust oder zu starker Sonneneinstrahlung schützen.  Weiterhin unterscheiden sich die Arabidopsis-Ökotypen in den Sekundärmetaboliten, die sie bilden: Das sind chemische Stoffe, die der Pflanze zum Beispiel Schutz gegen Fressfeinde oder Krankheitserreger verleihen. Die Gruppe um Ulf-Ingo Flügge arbeitet an der Frage, welche Sekundärmetabolite, biosynthetische Stoffwechselwege und Regulatoren bei der Interaktion mit der Umwelt entscheidend sind. 

Die Forscher am Botanischen Institut stehen in enger Kooperation mit Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung am Stadtrand von Köln. Dort untersucht die Arbeitsgruppe von George Coupland, wie sich einjährige von mehrjährigen Arten in ihrem genetischen Bauplan unterscheiden. Arabidopsis thaliana ist einjährig, die nah verwandte Art Arabis alpina, die Alpen-Gänsekresse, hingegen mehrjährig.  Auch hier dient die genetische Variation, die sich im Laufe der Evolution gebildet hat, dazu, die Funktionsweise der Pflanzen zu verstehen. 

 

Züchten in der Zukunft

 

Die Forscher hoffen, dass ihre Untersuchungen einmal dabei helfen werden, die Erträge in der Landwirtschaft zu steigern. „Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel“, sagt Marcel Bucher. „In Zukunft werden wir Pflanzen ganz anders züchten müssen als bisher.“ Denn um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, muss die Landwirtschaft ihre Produktivität verdoppeln, sagt er. „Das ist mit den klassischen Züchtungsmethoden nicht möglich.“

In der klassischen Zucht kreuzt man Organismen einer Art miteinander, um mit viel Glück und Geduld Pflanzen mit genau den Eigenschaften zu bekommen, die man haben möchte. „In Zukunft wird man aber artenübergreifend züchten, also Erbgut von einer Pflanzenart in eine andere Art übertragen“, prognostiziert Bucher. Ziel ist die ideale Kulturpflanze: Sie ist wassersparend, mehrjährig, nimmt effizient Nährstoffe auf, bildet viel Biomasse und ist gut gerüstet gegen Schädlinge.

Wenn die Kölner Botaniker wissen, welches Erbgut einer Pflanze welche Eigenschaft bewirken, wissen sie also auch, welche Gene es sich lohnt, von einer Art auf eine andere zu übertragen – und wie eine solche Übertragung am besten funktioniert. „Wir können mit unserer Forschung sicher nicht die Welt retten, aber wir hoffen, einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten zu können“, sagt Bucher. Auf dem Weg dorthin hilft ihnen Arabidopsis thaliana – ein einfaches Unkraut.

 

 

Infokasten:

Andere Projekte am Botanischen Institut und am Institut für Entwicklungsbiologie

 

-          Wie lässt sich bei Nutzpflanzen die Produktion von Biomasse erhöhen? Damit beschäftigt sich die Arbeitsgruppe um Ulf-Ingo Flügge. Die Forscher versuchen beispielswiese, die Erträge von Stärke bei der Kartoffel, von Zucker in der Zuckerrübe oder von Fetten in Raps zu steigern. Dazu greifen die Wissenschaftler gezielt in pflanzliche Transport- und Stoffwechselprozesse ein.

-          Wie Arabidopsis thaliana entscheidet, dass es an der Zeit ist, beispielsweise ein Blatt zu bilden, untersucht die Arbeitsgruppe von Wolfgang Werr. Die Forscher nehmen dafür das Sprossmeristem unter die Lupe,  quasi die Stammzellen der Pflanzen: Aus ihnen bilden sich Blätter, Blüten und vieles mehr. Die Wissenschaftler vergleichen Arabidopsis mit entfernten Pflanzenspezies und wollen wissen: Welche Gene beeinflussen das unterschiedliche Aussehen einer Pflanzenart?

-          Forschungsobjekte der Arbeitsgruppen von Michael Melkonian, Burkhard Becker und Kerstin Hoef-Emden sind einzellige Algen. Algen leisten etwa die Hälfte der globalen Photosynthese und stehen am Beginn aller aquatischen Nahrungsnetze. Die Wissenschaftler arbeiten an Projekten zur Evolution, Biodiversität, Zellbiologie sowie Biotechnologie von Algen. Den Arbeitsgruppen stehen dafür über 2500 Algenstämme der Kölner Algensammlung zur Verfügung.