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Mikrokrankheitenversicherungen

Mikrokrankheitenversicherungen als Schutz vor Armut

 Von Vanessa Köneke

Das Universitätennetzwerk „Pro MHI Africa“, initiiert durch das Seminar für Genossenschaftswesen, hat eine Ausbildung für zukünftige Manager von Mikroversicherungen in Entwicklungsländern entwickelt.

Für die meisten Menschen in Europa ist es eine Selbstverständlichkeit, doch für Menschen in Entwicklungsländern ist es oft ein Luxus: eine Krankenversicherung. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO müssen Menschen in Entwicklungsländern im Krankheitsfall im Durchschnitt 85 Prozentder Kosten aus eigener Tasche bezahlen; eine Versicherung oder staatliche Fürsorge springen nicht oder nur unzureichend ein. Vor allem Personen und Familien an der Grenze zur Armut oder bereits in Armut – das heißt nach Definition der Weltbank Menschen, die weniger als einen Dollar pro Tag zum Leben haben – können sich meist keine Versicherung leisten. Bereitseine für europäische Verhältnisse banale Krankheit mit vergleichsweise geringen Behandlungskosten kann diese Menschen in die Armut rutschen lassen, beziehungsweise die Hoffnung zerstören, jemals wieder aus der Mittellosigkeit herauszukommen. Doch so wie vor einigen Jahren dieMikrokredite um den bangladeschischen Wirtschaftswissenschaftler MuhammadYunus und seine Grameen Bank für Furore in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit sorgten – und Yunus sogar den Friedensnobelpreis einbrachten –, versuchen nun im Gesundheitssektor Mikrokrankenversicherungen (MKV) Abhilfe zu schaffen. Sie sollen ein wichtiger Schritt sein zur Erfüllung des seit langem von der WHO und anderen internationalen Organisationen proklamierten Menschenrechts auf gesundheitliche Grundversicherung.

Auch das Seminar für Genossenschaftswesen der Universität zu Köln engagiert sich im Bereich der Mikroversicherungen. Nach Projekten in Indien und China widmet sich das multidisziplinäre Kölner Wissenschaftlerteam unter Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Hans Jürgen Rösner, Projektkoordinator Gerald Leppert, der Afrikanistin Lisa-Marie Rohrdantz und dem Volkswirt Philipp Degens seit Oktober 2007 der Region Sub-Sahara-Afrikas. Im Rahmen eines von der EU mit 500.000 Euro geförderten Projektes haben sie gemeinsam mit Partneruniversitäten in Ghana, Malawi und Botswana ein Ausbildungsprogramm für Leiter von derartigen Versicherungen ausgearbeitet. Denn Manager von Mikroversicherungen müssen nicht nur betriebswirtschaftliches Versicherungswissen beherrschen, sondern vielen anderen spezifischen Anforderungen der konkreten Zielgruppe gerecht werden. Doch eine passende Ausbildung gab es bislang nicht; Mikroversicherungen zu organisieren und zu leiten, ist bzw. war bislang learning-bydoing. Dabei ist die Idee der Mikroversicherungen nicht neu. Allerdings steigt dieAnzahl der Anbieter und der Versicherten erst seit einigen Jahren deutlich an. In den vergangen drei Jahren haben sich die angebotenen Versicherungen laut der Weltarbeitsorganisation ILO verdoppelt. Neben Krankversicherungen gibt es derartige Mikroprodukte auch in Form von Ernteausfallversicherungen, Lebens- und Unfallversicherungen, Kreditlebensversicherungen, Beerdigungsversicherungen sowie Versicherungen, um Schäden an Produktionsmitteln und Vieh abzusichern. Krankenversicherungen wird im Allgemeinen jedoch die größte Bedeutung beigemessen. Neben dem Versicherungsschutz nehmen die Anbieter oft weitere wichtige Aufgaben wahr und bieten Präventionsund Hygieneschulungen an. Darüber hinaus gelingt es ihnen in vielen Fällen, Patienten und Versicherten als Gesamtheit eine Stimme auf dem Gesundheitsmarkt zu geben und damit die Qualität der Leistungen zu erhöhen und den Preis auf ein für beide Seiten akzeptables Niveau zu reduzieren. Die Kleinstkrankenversicherungen richten sich an Menschen mit geringem Einkommen in ländlichen Gebieten und an im informellen Sektor beschäftigte Arbeiter. Im Gegensatz zu herkömmlichen Krankenversicherungensind die Prämien gering, gerade noch erschwinglich; allerdings werden dadurch auch nur wenige Risiken abgedeckt. Chronische Erkrankungen undauch HIV/AIDS sind meist von den Leistungen ausgeschlossen.

Ebenfalls andersals bei privaten Krankenversicherungen in Deutschland zahlen meist alle Kunden das Gleiche. Denn zum einen wäre eine individuelle Risikobestimmung zu aufwendig und zum anderen würde ein Großteil der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsländern eine uneinheitliche Prämie nicht unterstützen. Die einheitliche Prämie erlaubt ein Risikopooling auf Basis des sogenannten Community risk ratings, also eine Querfinanzierung der Versicherten mit hohen Krankheitskosten durch diejenigen mit niedrigen oder keinen Kosten. Dennlaut Studien verursachen nur fünf Prozent der Krankheitsfälle 50 Prozent der gesamten Krankheitskosten in einem solchen Risikopool. Mikroversicherungen werden entweder von kommerziellen Versicherungen angeboten – etwa der Allianz –, und zwar meist in Zusammenarbeit mit lokalen Nichtregierungsorganisationen oder Krankenhäusern, oder in einer Art Gemeindeprojekt von den Versicherten selbst genossenschaftlich organisiert. Speziell mit dieser zweiten Art beschäftigt sich das Seminar für Genossenschaftswesen der Universität zu Köln. Im Rahmen einer vergleichenden Haushaltsbefragung haben die Forscher- Innen 1800 Haushalte in Ghana, Malawi und Botswana befragt, pro Land jeweils 350 bis 750. Etwa die Hälfte der Haushalte verfügte bereits über eine Mikrokrankenversicherung, die andere Hälfte dient als Kontrollgruppe. Die Haushalte wurden unter anderem nach der Nähe und der Qualität von Gesundheitsdienstleistungengefragt, sowie nach Art und Kosten der Behandlung. Die Auswertungen stehen noch aus.

Vor allem soll herausgefunden werden, welche Gesundheitsleistungen für ein Versicherungspaket am Bedeutendsten sind: etwa Medikamente und Mutter-Kind- Behandlungen oder ambulante Medizin und stationäre Krankenhausbehandlungen. Der zweite Projekt-Schwerpunkt neben der Haushaltsbefragung war die Ausarbeitung eines Lehrprogrammes für die (zukünftigen) Leiter von Mikroversicherungen. Das nun entstandene Lehrprogramm besteht zum einen aus Modulen, die an Universitäten etabliert werden sollen, und zum anderen aus praxisorientierten Modulen, die als lokale Weiterbildung für bereits bestehende Anbieter und Manager dienen. Teilnehmer des Programms erhalten bei erfolgreichem Abschluss ein offizielles Mikroversicherungs-Zertifikat. Zudem sollen die Module in Zukunft als Open- Source-Module auf der Website des Projektes zur Verfügung stehen. Außerdemwird im März ein Handbuch mit Beiträgen von WissenschaftlerInnen aus dem Projekt sowie Beiträgen von externen WissenschaftlerInnen und Mikroversicherungspraktikern erscheinen. „Die Manager müssen zunächst vor allem Aufklärungsarbeit leisten“, erläutert Projektkoordinator Leppert die Unterschiede zu herkömmlichen Versicherungen. Vielen Menschen in Entwicklungsländern sei das Versicherungsprinzip nicht bekannt. Sie verstünden nicht, dass sie im Voraus für etwas bezahlen sollen, das vielleicht gar nicht eintritt, statt andere wichtige Dinge von ihrem Geld zu erwerben. Auch dass man sein Geld nicht zurückbekommt, wenn man nicht krank wird, erscheinevielen paradox. Zudem hätten viele Menschen in ärmeren Ländern Vorbehalte gegen Finanzinstitutionen; zum Teil seien sie bereits um Geld betrogen worden. So traf der Kölner Wissenschaftler in Kamerun auf skeptische Einwohner, die kurz zuvor einem angeblichen Versicherungsmakler ihr Geld anvertraut hatten, doch war jener mit dem Geld verschwunden. Vertrauen bilden ist daher das erste, was Manager von Mikroversicherungen machen müssen, sagt Leppert. Statt auf kompliziertem Regelwerk müssten die Versicherungenauf klaren und transparenten Regeln basieren und vor allem sollten die Versicherer sehr engen Kontakt zu ihren Mitgliedern pflegen.Die Kölner WissenschaftlerInnen plädieren daher für die genossenschaftlicheOrganisation der Mikrokrankenversicherungen; wobei genossenschaftlich nichtim engen deutschen Rechtssinn zu verstehen ist, sondern eher auf kooperatives Wirtschaften im Allgemeinen abzielt und unter anderem gemeindebasierte Zusammenarbeit, Nichtregierungsorganisationen und Selbsthilfegruppen umfasst. Durch eine solche kundennahe Organisation haben die Menschen nach Erfahrung der Forscher stärkeres Vertrauen in die Versicherungsanbieter. Außerdem könnten die Produkte besser an die regionale Zielgruppe angepasst werden. Zudem verhindere die soziale Kontrolle im Gemeindeverband „moral hazard“ und „adverse Selektion“ – also grob gesagt das Ausnutzen und Betrügen von Versicherungen. Darüber hinaus würden durch ehrenamtliche Mitarbeit die generellen Fähigkeiten der Gemeindemitglieder gestärkt.Die genossenschaftliche Versicherungsform hat jedoch auch Nachteile: Obwohl es einzelne Versicherungen mit zehntausenden Versicherten im südlichen Afrika gibt, umfassen die meisten nur vergleichsweise wenige Mitglieder – in 95 Prozent der Fälle unter 1000.

Daher verfügen die Versicherer über geringe finanzielle Rücklagen. Wenn eine Epidemie die Region überfällt oder auch nur ein oder zwei Mitglieder einer sehr kostenintensiven Behandlung bedürfen, geraten die Versicherungen im schlimmsten Fall in Zahlungsnot. Laut einer Veröffentlichung des westafrikanischen Netzwerkes „La Concertation“ befanden sich im Jahr 2004 etwa fünf Prozent der westafrikanischen MKV in finanziellen Schwierigkeiten und mussten ihren Mitgliedern teilweise Leistungen verwehren. Die Lösung könnte eine Rückversicherung sein oder ein Dachverband mit Risikoausgleich. Für Indien haben die Mitarbeiter des Seminars für Genossenschaftswesen bereits ein passendes Konzept ausgearbeitet. Ebenso hat Ralf Radermacher, Forschungsbeauftragter der Universität Köln, mit anderen WissenschaftlerInnen zusammen dort schon eine Akademie eingerichtet, die Micorinsurance Academy (MIA) in New Delhi, an der sich Manager von bestehenden Mikroversicherungen weiterbilden können.Die Nachfrage nach einer spezifischen Ausbildung für Mikroversicherungen istlaut den Kölner WissenschaftlerInnen hoch. Immerhin gibt es mittlerweile alleinein 22 der 42 Sub-Sahara-Länder Mikrokrankenversicherungen, 500 an der Zahlmit insgesamt 14 Millionen Mitgliedern. „Bei meiner letzten Konferenz in Kamerun wurden mir die Informationsbroschüren innerhalb von fünf Minuten aus den Händen gerissen“, sagt Leppert. Regelmäßig erreichten zahlreiche Nachfragen aus ganz Afrika, wo man das Zertifikat erwerben könne, das Seminar. Im Wintersemester 2009/2010 boten die Universität zu Köln wie auch die Partneruniversitäten in Ghana, Botswana und Malawi erstmals spezifische Lehrveranstaltungen an. Für das Seminar „Mikroversicherungen und Armutsbekämpfung“ in Köln haben sich fast doppelt so viele Studenten angemeldet wie erwartet. Die Veranstaltung befindet sich momentan im Studium Integrale des Bachelors, soll aber idealerweise demnächst auch für Masterstudiengänge im Rahmen des Minor „Selbsthilfeökonomie“ adaptiert werden. „Die weltweite Nachfrage können wir und unsere Partneruniversitäten in Afrika jedoch alleine nie bedienen“, sagt Leppert. Das EU-geförderte Gemeinschaftsprojekt ist im Januar 2010 ausgelaufen, doch die WissenschaftlerInnen wollen weiter zusammenarbeiten, vor allem um das Konzept auf andere Länder zu übertragen und die Ausbildung für künftige Manager von Mikroversicherungen weiter zu verbessern. Auch bisher haben die Forscher eng zusammengearbeitet: knapp ein Dutzend Mal haben sie sich in den vergangenen zwei Jahren gegenseitig besucht. Das war laut Leppert schon alleine nötig, um die Unterschiede in Verwaltung, Organisation und Entscheidungsstrukturen der Partnereinrichtungen kennenzulernen.Die Länder – Ghana, Botswana und Malawi – wurden übrigens nicht zufällig ausgewählt. Sie erlaubten es den Kölner WissenschaftlerInnen Mikroversicherungen in ganz unterschiedlichen Kontexten zu beobachten. So haben die MKV in Ghana – wie auch in anderen westafrikanischen Ländern – bereits eine lange Tradition, etwa seit Beginn der neunziger Jahre. In Malawi kommt die Idee der Krankenversicherung hingegen gerade erst an; dort versuchen Anbieter von Mikrokrediten ihr Angebot auf Mikroversicherungen auszudehnen.

In dritten Fall, Botswana, gibt es nur ein privates Krankenversicherungsunternehmen, das mit speziellen Produkten den Niedrigeinkommenssektor erreichen will, doch sind hier in den ländlichen Regionen und auf dem informellen Sektor bislang nur wenige Menschen integriert, da die derzeitigen kommerziellen Anbieter nicht ausreichend mit gemeindenahen Organisationen kooperieren. Das Ziel dort ist es, noch mehr Menschen einen Krankheitsschutz zu ermöglichen. Entsprechend der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen mussten die Lehrmodule an die einzelnenLänder angepasst werden. Noch strittig ist allerdings, ob die Kleinversicherungen es tatsächlich schaffen, den Teufelskreis aus Armut und Krankheit zu durchbrechen und Menschen aus der Armut zu holen. Projektleiter Leppert ist sich jedoch zumindest sicher, dass sie helfen, Menschen gar nicht erst in die Armut abrutschen zu lassen.

Für Personen, die in sehr starker Armut leben, sind zwar selbst günstige Mikroversicherungsprodukte kaum erreichbar, doch durch den Erfolg der Mikrokrankenversicherungen gerät das Schicksal der Armen mehr und mehr auf die gesellschaftliche Agenda. Dadurch komme es auch zu mehr Zusammenarbeit mit lokalen und nationalen Regierungen.So sind die MKV in Indien mittlerweile staatlich reguliert; darüber hinaus müssendortige Versicherungsunternehmen seit 2002 einen bestimmten Anteil ihrer Arbeitm Mikroprodukten widmen. Aufgrund der Erfolge der Mikrokrankenversicherungen entschieden die Regierungen von Ruanda, Ghana, Burundi und Tansania, ihre neu eingeführten staatlichen Krankenversicherungssysteme auf Mikroversicherungen basieren zu lassen.