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Intelligenz in den Beinen

Kölner Biologen arbeiten am biomimetischen Roboter Lola

 Von Robert Hahn

Der Mensch kann es, die Ameise kann es, nur die Maschine tut sich schwer damit: Laufen. Was in der Natur einfach und elegant aussieht, stellt sich den Konstrukteuren von Laufrobotern als komplexes Problem dar, bei dem die Maschine eine große Zahl von Aufgaben gleichzeitig bewältigen muss. Trotzdem stellen sich Wissenschaftler immer wieder dieser Herausforderung, denn laufende Roboter sind ihren rollenden Kollegen klar an Beweglichkeit überlegen.

Der Kölner Neurobiologe Ansgar Büschges will den Robotern nun Beine machen: Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes ?Natur und Technik intelligenten Laufens? untersucht der Professor für Tierphysiologie mit seiner Gruppe am Modell der Stabheuschrecke, wie die Tiere es schaffen, ihre Laufrichtung und Laufgeschwindigkeit zu ändern. Die Ergebnisse seiner Forschung sollen dem Laufroboter ?Lola? zu Gute kommen. Zusammen mit seinen Kollegen aus Bielefeld, Jena und München möchte er den metallenen Zweibeiner besseres Laufen lehren: Spätestens 2010 soll Lola auf der Hannover Messe an den Start gehen.

Von der Natur abgeschaut

Bis jetzt ist es den Robotikern weltweit noch nicht gelungen, Laufmaschinen befriedigend zum anpassungsfähigen Laufen zu animieren: Weder können die metallenen Fußgänger joggen, noch können sie Objekte aller Formen und Größen übersteigen oder ihnen ohne weiteres ausweichen. Ihre Fähigkeiten im Crossover-Lauf sind so bescheiden, dass selbst geringe Leistungen unter Robotikern als großer Fortschritt gelten. Das Vorgängermodell von Lola, ?Johnny?, erregte 2003 auf der Hannover Messe Aufsehen, weil es ihm gelang, eine zehn Zentimeter hohe Latte langsam zu überschreiten.

Ansgar Büschges und seine Kollegen wollen dies ändern. Sie verfolgen dabei einen biomimetischen Ansatz, bei dem sich die deutschen Wissenschaftler weltweit zur Spitzengruppe der Forschung zählen dürfen: Sie erforschen die Fortbewegung (Lokomotion) sowohl der Stabheuschrecke als auch des Menschen, und speisen die gemessenen Daten dann in Programme von Computersimulationen ein. Die gewonnenen Erkenntnisse werden auf die Konstruktion und Regelung des Roboters ?Lola? übertragen, der an der TU München von Professor Heinz Ulbrich und seiner Gruppe gebaut wird.

Die Leidenschaft des Kölner Biologen für Stabheuschrecken kommt dabei nicht von ungefähr: Die bizarr aussehenden Tiere eignen sich hervorragend zum Studium des Laufens. Die Insekten verfügen über ein im Vergleich zum Menschen einfaches Nervensystem, das sich gut studieren lässt. Die grundsätzlichen Bewegungsabläufe beim Schreiten sind dabei aber dieselben wie beim Menschen, auftauchende Probleme werden ähnlich oder sogar gleich gelöst. Auch die Anatomie des Insekts ähnelt der menschlichen: Ein Insektenbein verfügt über einen Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß. Durch die gute Sichtbarkeit ihres Exo-Skeletts und die leichte Zugänglichkeit des Nervensystems lassen sich Bewegungen gut aufzeichnen und ihre Erzeugung im Nervensystem studieren.

Laufen auf der Glitschplatte

Das Team um Ansgar Büschges interessiert besonders, wie es den Insekten gelingt, Laufrichtung und Laufgeschwindigkeit zu ändern. Dazu lassen die Wissenschaftler unter anderem die Stabheuschrecke über eine mit Glycerin präparierte Glitschplatte laufen, die es dem Insekt unmöglich macht, seine Position zu verändern. Während das Insekt versucht, sich an einem vorbeiziehenden Schatten zu orientieren und dabei seine Beinbewegung ändert, werden seine markierten Beinsegmente mit einer speziellen Kamera gefilmt. Aus diesen Aufnahmen werden dann die Beinbewegungen mit einem Computerprogramm ausgewertet. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Beine der Schrecke zum Richtungswechsel einzeln und nicht aneinander gekoppelt beitragen, ein Kurvenlauf also dezentral organisiert wird.

Zusammenspiel der Neuronen

Solche Studien einzelner, spezieller Bewegungsformen sind neu, wogegen die Grundsätze des Laufens den Forschern schon aus früheren Untersuchungen bekannt sind. Lokomotion folgt einem zyklischen Aktivitätsmuster mit zwei Phasen: Auf eine Stemmphase, in der das Tier sich mit Hilfe des am Boden befindlichen Beins nach vorne bewegt, folgt eine Schwingphase, in der das Bein wieder nach vorne geführt wird, um eine erneute Stemmphase einzuleiten. Doch jenseits dieser allgemeinen Erkenntnis wird alles sehr viel komplizierter. Allein an einem einzelnen Bein des Insekts kontrollieren mehr als ein Dutzend zum Teil antagonistisch angeordnete Muskeln die Hauptbeinsegmente. Doch das ist nicht alles: Die neuronale Kontrolle der Lokomotion findet auf mehreren Ebenen statt. Das Gehirn initiiert die Bewegung, erhält sie aufrecht und gibt mit Hilfe der am Kopf befindlichen Sinnesorgane die Ziele vor. Die Bewegungsabläufe der Beine und ihre Koordination werden dabei beim Menschen von Nervenzellnetzwerken im Rückenmark, bei Insekten im Bauchmark kontrolliert. Dazu gehört auch die Verarbeitung des sensorischen Feedbacks, also der Rückmeldung über die Bewegungen der Beine. Alle Teilsysteme interagieren miteinander und müssen die Impulse, die ihnen aus anderen Steuerungszentren zufließen, wiederum in ihr eigenes Ausgangssignal einbauen. Insbesondere diese Wechselwirkung zwischen den Nervennetzwerken im Zentralnervensystem, den sogenannten zentralen Rhythmusgeneratoren, und den Beinsegmenten findet das besondere Augenmerk der Forscher, denn hier wird ein Großteil des Laufens bewältigt.

Eine erste Umsetzung der von der Natur abgeschauten Kontrolle der Bewegung gelang schon im Vorgängermodell von Lola, dem Roboter Johnny. In Zusammenarbeit mit Professor Holk Cruse von der Universität Bielefeld und den Professoren Blickhan und Seyfarth an der Universität Jena geht es den Kölner Biologen jetzt darum, Roboter auch für anspruchsvollere Aufgaben, wie Joggen oder den Hindernislauf, fit zu machen.

Einfacher ist schneller

Und in diesen Disziplinen sind die Krabbeltiere ihren metallenen Konkurrenten um vieles voraus. Ansgar Büschges weiß, warum sich Roboter bis jetzt nicht mit ihnen messen können: ?Ein Roboter muss alles gleichzeitig können: das Gleichgewicht halten, die Laufrichtung bestimmen, Kraft und Dämpfung eines jeden Gelenks koordinieren und auf Hindernisse reagieren. Er muss jederzeit wissen, in welcher Lage sich seine Beine befinden.? Dabei muss die Maschine kontinuierlich die eigenen Bewegungsimpulse je nach den von außen eingehenden Sensordaten modifizieren. Die Folge ist eine riesige Flut von Daten, die der Roboter berechnen muss, bevor er einen Schritt wagen kann.

Die Lösung des kniffligen Problems finden die Biologen aus Büschges Team in Vorbildern aus der Natur, wie der Stabheuschrecke. Auch hier ergaben sich bei den Messungen der Nervenimpulse des Insekts enorme Datenmengen. Die Kölner Wissenschaftler durchschlagen den Gordischen Knoten des Datenchaos mit einer Beschränkung des Laufmodells auf die wichtigen Parameter: ?Wir haben uns die Datenmenge angeschaut und gefragt: Was ist davon überhaupt für ein funktionierendes Modell nötig??, beschreibt Büschges das Vorgehen der Kölner Forscher. Die Biologen fokussierten ihre Untersuchung deshalb zunächst auf die Identifikation der wichtigsten Informationen und Signale. Durch diesen Ansatz gelingt es dem Professor für Zoologie und seinen Mitarbeitern, eine funktionierende, dynamische Computersimulation der Fortbewegung der Stabheuschrecke zu entwerfen, deren Beine wie beim Original schreiten können.

Eine weitere Möglichkeit zur Vereinfachung des Laufens sieht Büschges in den Besonderheiten der Biomechanik des natürlichen Laufens: So dienen die Muskeln des Beins nicht nur als Motoren der Bewegung, sondern gleichzeitig als Dämpfer und Energiespeicher. Sollte es gelingen dieses Konstruktionsprinzip der Natur auf den Roboter zu übertragen, so würde schnelles Laufen für die Maschine sehr viel einfacher.

Intelligenz durch Lokomotion

Neben den konkreten Ergebnissen seiner Forschung, die in die Arbeit an Lola einfließen werden, sieht Büschges noch eine wesentlichere Bedeutung seiner Arbeit:?Es gibt heute viele Forscher, die der Meinung sind, dass die Fähigkeit, sich zu bewegen, eine Voraussetzung für die Entwicklung von Intelligenz war?, erklärt der Kölner Forscher. ?Ein Tier muss sich Nahrung suchen, jagen, flüchten oder sich fortpflanzen. Dabei stößt es immer wieder auf Probleme, die es wiederum intelligent durch Bewegung bewältigen muss. Die differenzierte Kontrolle motorischer Fähigkeiten bei Tieren ermöglicht es ihnen erst, kognitive Leistungen umzusetzen.?

Dabei muss sich die Motorik nicht auf die Fortbewegung des Individuums oder die Manipulation der Umwelt beschränken. Eine besondere Form der Bewegung ist auch das gezielte Modulieren der Atemluft zum Ziele der Kommunikation, das Sprechen: ?Die Motorik ist das Ausgangstor des Gehirns?, stellt der Neurobiologe fest. ?Wenn wir das Laufen verstehen, machen wir einen wichtigen Schritt, die Arbeitsweise unseres Gehirns und auch Intelligenz an sich zu verstehen.?

Die Ergebnisse beim Bau von Lola werden nach Ansicht des Kölner Wissenschaftlers ihre Anwendung nicht nur in Industrie- und Servicerobotern finden. ?Unsere Forschungen sind für viele konkrete Anwendungen relevant, obwohl wir hier nicht direkt anwendungsorientiert arbeiten?, beschreibt Büschges seine Arbeit. So sind die Schaltungen und Programme zur Regelung und Stabilisierung der Bewegungen der Laufmaschinen auch für Anwendungen im Bereich der Antriebstechnik und die Massenfertigung im Automobilbau von großer Bedeutung. Auch im Flugzeug- und Fahrzeugbau sind die für Laufmaschinen entwickelten Regler hochinteressant. Interesse besteht auch im Bereich der Prothetikentwicklung, wobei hier die regelungstechnischen Lösungen und die Leichtbauweise der Laufroboter im Vordergrund stehen.