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Von Fischen und Menschen

Welche Rolle können Fische in der Alternsforschung spielen?

Eine große, wenn es nach Dario Valenzano geht. Er betreibt Forschung an Killifischen, außerge­wöhnlich kurzlebigen Wirbeltieren. Seine Forschung gibt wertvolle Einblicke in die Rolle des Immunsys­tems im Alterungsprozess – nicht nur in Killifischen, sondern auch beim Menschen.

von Peter Kohl

»Wow, das ist wirklich ein alter Fisch!« Man kann Dario Valenzano die Begeisterung förmlich anhören als er den alten Fisch im Aquarium entdeckt. »Wir müssen ihm einen Namen geben. Vielleicht Methusalem? «, scherzt er weiter. Aber warum genau ist der Alternsforscher so erfreut einen Fisch zu sehen, der im Oktober 2015 das Licht der Welt erblickte? Ein Fisch, der weltweit häufig in Laboren genutzt wird, ist der Zebrafisch Danio rerio, der eine Lebenserwartung von etwa sieben Jahren hat. In Valenzanos Labor wird aber an dem Killifisch Nothobranchius furzeri geforscht – und der hat, je nach Stamm, nur eine Lebenserwartung von vier bis neun Monaten. Das ist der Grund, warum diese Art für einen Alternswissenschaftler so interessant ist – auch wenn Altern nicht immer das Fachgebiet des Arbeitsgruppenleiters am Max-Planck- Institut für Biologie des Alterns und Mitglied des Exzellenzclusters für Alternsforschung CECAD war. 

Er begann als Forscher die Evolution von Gesichtsausdrücken bei Primaten zu untersuchen. 2002 aber sprach der begeisterte Aquarianer Stefano Valdesalici (jetzt Präsident der Italienischen Killifisch Gesellschaft) mit Professor Allessandro Cellerino, Valenzanos Doktorvater. Schon bald nach dem Abholen der ersten Killifisch-Embryonen war es um Valenzano geschehen. »Während der ersten beiden Jahre war ich auf mich allein gestellt. Ich war der Pfleger, der Techniker und der Experimentator. Nach zwei Jahren und vielversprechenden Ergebnissen bekamen wir unsere erste größere Förderung und konnten einen Techniker einstellen. Aber bis dahin war es eine Menge harte Arbeit mit kaum einem freien Wochenende.« Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Heute leitet der 38-Jährige seine eigene Arbeitsgruppe am Max- Planck-Institut in Köln und ist ein weltweit anerkannter Experte für Killifische. »Es ist Teil meiner Aufgabe geworden, anderen Wissenschaftlern in der frühen Phase ihrer eigenen Erforschung der Killifische zu helfen. Wir verschicken wöchentlich Protokolle und Embryonen und werden oft für Kollaborationen angefragt – das ist eine tolle Sache! Je mehr Leute in der Gemeinschaft sind, desto besser.«


Die Eingeweide als Schlachtfeld – oder doch als Platz des Austauschs?

Was ist es, was diesen kleinen Fisch so interessant für eine ganze Gemeinschaft an Forschern macht? Gibt es nicht schon genug Modellorganismen, an denen geforscht werden kann? Generell schon, aber alle haben Vor- und Nachteile. Ein anderer oft genutzter Organismus, die Fruchtfliege Drosophila, hat normalerweise eine Lebenserwartung von etwa dreißig Tagen, der Fadenwurm Caenorhabditis elegans lebt etwa für zwei bis drei Wochen. Das macht auch diese beiden Organismen interessant für die Alternsforschung. Aber es gibt auch Nachteile. 

Auch wenn diese Organismen viele Gene mit dem Menschen teilen, gibt es dennoch große Unterschiede – so fehlt Wirbellosen wie den Würmern und Fliegen zum Beispiel ein adaptives Immunsystem. Ein anderes Labortier, die Maus, zeigt große Ähnlichkeit zum Menschen, was die biologischen Verteidigungsstrategien angeht. Aber dank einer Lebensspanne von mehr als zwei Jahren müssten Forscher lange warten, um etwas über das Altern herauszufinden. »Daher ist der Killifisch hervorragend für unsere Fragen zum Immunsystem geeignet. Ähnlich wie wir haben Fische Abwehrzellen in ihrem Körper, sogenannte B- und T-Lymphozyten, um auf Bedrohungen zu reagieren.« Besonderes Augenmerk legt Valenzano dabei auf den Verdauungstrakt, der eine wichtige Schnittstelle zwischen dem Organismus und der Welt um ihn herum ist. »Die Eingeweide können als Schlachtfeld zwischen dem Wirt und anderen Organismen gesehen werden. 

Genauso kann man sie aber als einen Ort von Kooperation und wechselseitiger Beziehung sehen. Bakterien bieten ihrem Wirt Nährstoffe und Stoffwechselprodukte. Die Aufgabe des Immunsystems ist es, krankmachende Bakterien zu erkennen und darauf zu reagieren. Wir sind besonders daran interessiert zu erforschen, wie die Funktion des Immunsystems mit dem Altern nachlässt.« Ganz besonderes Interesse hat Valenzano dabei an den Regionen des Genoms, die für die Vielfalt der Antikörper der Fische verantwortlich sind. »Wir möchten sehen, wie sich das Repertoire der Antikörper mit dem Altern verändert und ob das den Alterungsprozess des Organismus beeinflusst.« Bemerkenswert findet er an diesem Organismus bisher in jedem Organ, das sie beobachtet haben, einen Alterungsprozess sehen zu können. »Entweder hat jedes Organ seine eigene, intrinsische Alterungsuhr oder es gibt einen Hauptregulator des Alterns, der dafür sorgt, dass alles andere mit dem Altern versagt. Eine Hypothese ist, dass das Immunsystem nachlässt. Ich denke, dass der Fisch eine großartige Möglichkeit bietet zu untersuchen, welche Rolle das Immunsystem beim Altern spielt.« 



Der innere Gärtner

Um zu erklären, wie das Immunsystem mit dem Mikrobiom interagiert, hat Dario Valenzano eine interessante Analogie gefunden. Er betrachtet das Immunsystem als Gärtner, der sich um die Pflanzen kümmert und Unkraut entfernt. »Wenn der Gärtner alt wird, übernehmen die Unkräuter. Die, die am schnellsten wachsen, werden die schönen Pflanzen komplett überwuchern. Das könnte den Prozessen ähneln, die sich im Fisch oder in uns abspielen.« Aber es ist auch möglich, diesem inneren Gärtner zu helfen. »Vielleicht kommt die Nichte oder ein Freund zu Besuch, wenn der Gärtner älter wird und bringt wieder schöne Blumen mit. Das könnte ein Anreiz für ihn sein, sich wieder mehr um den Garten zu kümmern. Wenn aber der Garten schon voll mit Unkräutern ist, komplett übernommen von hartnäckigen Gestrüpp, dann ist das in gewisser Weise auch eine sehr stabile Umgebung – es kann dann schwierig sein, ihn wieder zurück in einen gesunden, jugendlichen Zustand zu versetzen. In diesem Fall ist eine weitreichendere Behandlung nötig, vielleicht muss der Garten komplett neu angelegt werden, um ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen.« 

An diesem Punkt verlässt Valenzano die Analogie wieder und kommt zurück zu seiner Forschung. »Was wir uns fragen: Können die Darmbakterien eine Rolle im Alterungsprozess spielen? Können wir in den Alterungsprozess eingreifen, indem wir die mikrobielle Gemeinschaft in einem bestimmten Organismus manipulieren? Wir wissen, dass das Mikrobiom einiges zu Metabolismus und Physiologie beiträgt; viele unserer Erkrankungen sind charakterisiert durch Veränderungen in der mikrobiellen Gemeinschaft. Was passiert, wenn wir das Mikrobiom wieder verjüngen? Würde das den Alterungsprozess des Wirtes beeinflussen? « Nachdem man diese Idee gehört hat, kann man Valenzanos Freude als Schatzsucher mit besonderem Ziel verstehen: Dem Sammeln von Fischkot. »Sehen Sie den Kot hier?« fragt er während er auf ein Aquarium zeigt. »Das ist wie Gold für uns!« 

So interessant der Killifisch für die Forschung auch sein mag – ihn zu halten und zu züchten erfordert spezielles Training und gutes Personal. Das hat mit dem komplexen Lebensstil und der rauen Umgebung zu tun, aus der er kommt – der afrikanischen Savanne in Simbabwe und Mosambik. In der Wildnis leben Killifische in Tümpeln, die während der Trockenzeit üblicherweise austrocknen. Das erzeugt einen sehr starken evolutionären Druck auf die Killifische: Sie müssen schnell wachsen und nach etwa drei Wochen schon die Geschlechtsreife erlangen. Wenn man wenig Zeit zum Paaren hat, sollte man sich beeilen. Sobald ihre Arbeit – die Fortpflanzung – getan ist, lässt der Druck der natürlichen Selektion nach, was das Altwerden und Starkbleiben angeht. »Das ist wahrscheinlich der Grund für die kurze Lebensspanne und das frühe Auftreten von Krankheiten wie Krebs in dieser Art.« Um den Killifisch als Labororganismus zu etablieren, mussten die Forscher verschiedene Meilensteine erreichen. Um die Bedingungen der Wildnis im Labor zu imitieren, hat das Aquarium einen zwölfstündigen Tag-Nacht-Zyklus mit je einer halben Stunde Sonnenauf- und -untergang. Die Temperatur wird konstant bei 28°C gehalten. Aber der interessanteste Teil des Lebenszyklus kommt sechs bis sieben Tage nach der Befruchtung. Während Fische sonst Wasser zum Überleben brauchen, braucht dieser Fisch frische Luft. Die befruchteten Eier werden gesammelt und auf Platten mit feuchtem sterilen Kokosnuss- Substrat gegeben. Nach drei Wochen sind die Eier bereit, wieder ins Wasser zu kommen und die Fische können schlüpfen – oder sie können für Monate oder manchmal sogar Jahre in einem Kühlschrank aufbewahrt werden! »Wir können das Schlüpfen über die Inkubationstemperatur steuern: Zum Beispiel kann ich entscheiden, dass sie nächste Woche Mittwoch schlüpfen sollen. Das macht unsere Planung der Experimente viel einfacher.« 



Ein Bügelbrett und eine WhatsApp- Gruppe sind sehr hilfreich in der Savanne

Auch wenn Valenzanos Team bis zu 2.000 Fische in den Aquarien des Instituts halten kann, begibt er sich von Zeit zu Zeit für die Feldforschung nach Afrika um Gewebeproben von Fischen aus der Wildnis zu sammeln. Moderne Technik und sogar die sozialen Medien sind dabei sehr hilfreich für ihn – in Form einer WhatsApp-Gruppe mit Rangern des Nationalparks. »Die Ranger kennen meine Lieblingsplätze an denen ich Fische im Park fange und ich bin in Kontakt mit ihnen, um zu hören, wie das Wetter und der Wasserstand der Tümpel sind. Wenn sie mir sagen, ›Dario, es ist zu trocken‹, dann fahre ich nicht nach Afrika. Das letzte Jahr war extrem trocken. 2016 war ein El Niño-Jahr und wir mussten die Expedition absagen. Es hat im Prinzip gar nicht geregnet. Hoffentlich wird das nächste Jahr besser.« Ein anderes hilfreiches Werkzeug für ihn ist ein einfaches Bügelbrett. »Im Feld müssen wir manchmal improvisieren. Wir nutzen ein Bügelbrett, das wir auf dem lokalen Markt gekauft haben, als mobilen Arbeitsplatz – und es funktioniert super. Außerdem haben wir eine handbetriebene Zentrifuge, damit wir aus dem Wasser isolierte Bakterien als Pellet zurück ins Labor bringen können.« 

Eine andere Sache, mit der Valenzano und sein Team während der Expedition umgehen müssen, sind die manchmal herausfordernden Bedingungen in Afrika: »Das letzte Mal haben mein Student und ich Dengue-Fieber bekommen. Außerdem gibt es wilde Tiere – Büffel, Löwen, Hyänen und Elefanten, die besonders in dieser Gegend recht aggressiv sind, weil sie oft von Wilderei bedroht sind. Es kann schwierig werden, wenn man vorher noch nie im Busch war. Jedes Mal, wenn ich jemand neuen auswähle, ist es eine schwierige Entscheidung. « Bei allen erkennbaren Gefahren werden natürlich sämtliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Über zehn Jahre Erfahrung mit Feldforschung und die volle Unterstützung der Nationalpark-Ranger sind eine große Hilfe dabei, die Sicherheit zu erhöhen. Und auch wenn ein Restrisiko bestehen bleibt – Dario Valenzano ist bereit es einzugehen, um die Geheimnisse des Alterns weiter zu lüften.