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Goldschatz in der Sahara

Geologen heben Klimaarchiv im Ounianga

 
Auf dem Weg des Menschen nach Europa bahnte ihm das Klima den Weg. Trocken- und Feuchtzeiten legten die Wanderwege unserer Vorfahren fest. Im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 806 „Our Way to Europe“, der den Weg des modernen Menschen von Afrika nach Europa nachzeichnet, will der Kölner Geologe und Geoarchäologe Stefan Kröpelin von der Forschungsstelle Afrika am Institut für Ur- und Frühgeschichte die Klimageschichte der Sahara erforschen. Dafür begibt sich der Wissenschaftler an einen der abgelegensten Orte der Welt: In Ounianga Kebir mitten im Nirgendwo des Dreiländerecks zwischen dem Tschad, Libyen und dem Sudan will Kröpelin einen einzigartigen Datenschatz heben.


Von Robert Hahn

 

Im Grunde des Wüstensees Yoan liegen Sedimente von einmaliger Qualität, die
den Forschern Aufschluss über das vorgeschichtliche Klima des Gebietes geben sollen. Über tausend Kilometer Savanne und Wüste muss Stefan Kröpelin auf seiner Expedition durchqueren, bevor er unter Wasser bohren kann. Sein Ziel ist der Yoan-See von Ounianga Kebir, eine Gruppe kleiner Wüstenseen, die im Nordosten des Tschad, im trockensten und menschenleersten Teil der Ostsahara liegen. Bereits 1999 besuchte Kröpelin das erste Mal die geheimnisvollen Salzseen. Damals konnte er durch Probebohrungen beweisen, dass der Yoan- See es in sich hatte: Der Grund des über fünfundzwanzig Meter tiefen Gewässers bestand aus fein geschichteten Sedimenten. Ein unwahrscheinlicher Glücksfall, denn die Ablagerungen, die sich seit der Entstehung des Sees vor elftausend Jahren übereinandergelegt hatten, waren so deutlich getrennt, dass man saisonal Sommer- und Winterablagerungen unterscheiden konnte. Die hohe Auflösung des Bohrkerns bot den Wissenschaftlern nun die Möglichkeit, Klimaereignisse für die Jahreszeiten jedes einzelnen Jahres zu bestimmen. So war es nur folgerichtig, weitere Bohrungen zu unternehmen, um tiefer in die Vergangenheit des Sees und seine Umwelt einzudringen.

Klimaarchiv mit hoher Auflösung

Im Zuge des Sonderforschungsbereiches 389 „ACACIA“ ergab sich in den Jahren
2003 und 2004 die Gelegenheit dazu: Die Kölner Wissenschaftler brachten einen Bohrkern von fast neun Metern Länge an die Oberfläche, in dem die Sedimente der letzten 6.000 Jahre deutlich erkennbar waren. Keine leichte Arbeit, wie Stefan Kröpelin sich erinnert: „Das war alles in Schlauchbooten, in einem der windreichsten Gebiete der Erde. Da gibt es manchmal über einen Meter hohe Wellen. Und dann muss man noch das Bohrloch in 26 Meter Tiefe treffen und das Bohrgestänge mit Bohrkern wieder hochziehen.“ Doch die abenteuerlichen Arbeitsbedingungen vor Ort schrecken den Geoarchäologen nicht. Denn er weiß, welche Schätze der Bohrkern birgt: Die bis zu 1,3 mm dicken saisonalen Schichtungen der Sedimente bergen fossile Algen, Insekten, Pollen und Sporen, die Aufschlüsse über vorgeschichtliche Klima- und Umweltbedingungen geben. Die Jahresschichten und C14-Daten erlauben eine genaue Chronologie des Klimas, bis hin zu den Atombombentests im Jahr 1964 und den heutigen Tag. „Das ist das meines Wissens detaillierteste Klimaarchiv ganz Afrikas“, erklärt Kröpelin. „Nirgends kann man so wie hier Sommer und Winter zurückzählen und wenn man genug Proben analysiert, kann man Aussagen über jedes einzelne Jahr machen. Bisher schon über die letzten 6.000 Jahre und wenn alles gut geht, bald über die letzten 12.000 Jahre.“ Ziel der Wissenschaftler ist es nun, in der Kampagne Anfang 2010 Sedimente aus dem kompletten Erdzeitalter Holozän zu Tage zu fördern.

Neue Bohrung im Sonderforschungsbereich

Dazu rücken die Forscher diesmal mit schwerem Gerät an. Das Bohrgestänge soll auf einer Plattform verankert und in den Grund des Salzsees getrieben werden. „Ich hoffe, dass wir zwanzig Meter reinkommen, vielleicht 25 Meter, um dann auch das gesamte Holozän in dieser hervorragenden Auflösung zu haben“, so Kröpelin. „Damit hätte man das erste Mal eine lückenlose Klimageschichte der Sahara.“ An den obersten Sedimentlagen ließen sich auch Prognosen über die Tendenzen im gegenwärtigen Klima ablesen, so der Forscher: „Damit könnte man in den obersten Schichten Trends erkennen: Wird es wirklich trockener oder wird es nicht eher feuchter?“ Schwierig werden die Bohrungen allemal, denn auf der Plattform im See wird alles durch Muskelkraft erledigt. So müssen die Wissenschaftler den Hohlbohrer manuell in den Untergrund des Sees drücken, was umso schwerer wird, je tiefer der Bohrkopf ins Sediment dringt. Auch die etwa 20 Meter langen Sedimentkerne samt Gestänge müssen per Hand aus den Tiefen des Sees heraufgezogen werden. Nur so umgehen die Wissenschaftler die Gefahr, dass Vibrationen, wie sie etwa maschinengetriebene Wackerhämmer erzeugen, die Sedimentschichten zerstören. Auch das Wetter könnte dem Bohrteam einen Streich spielen. „Im schlimmsten Fall haben wir zwei Wochen Wind und können buchstäblich nichts machen“, so der Kölner Forscher. „Wenn wir aber Glück und eine windstille Woche haben, könnten wir in einer Woche schon fast alles erledigt haben.“

Goldgrube nicht nur für Geologen

Die Bohrstelle des Projekts ist für sich genommen schon eine Sensation. Denn den Yoan-See von Ounianga Kebir dürfte es eigentlich überhaupt nicht geben. Hier verdunsten pro Jahr unter der glühenden Wüstensonne bis zu sechs Meter Wasser auf den vier Quadratkilometern der Seeoberfläche – umgerechnet etwa der jährliche Wasserverbrauch der Stadt Köln. Doch der See birgt ein Geheimnis: Er wird aus einem Jahrtausende alten unterirdischen Wasserreservoir gespeist, das die enormen Verdunstungsverluste ausgleicht. Trotzdemist das Wasser salzig, ebenso wie in den übrigen vierzehn kleineren Seen, die das Gebiet von Ounianga-Kebir und dem benachbarten Ounianga Serir ausmachen. Sie alle sind die Reste des verschwundenen früh-holozänen Megatschad, dem einst größten Binnenseesystem der Erde. Der Leiter der Expedition ist von dem Ort begeistert: „Man kann wirklich sagen, es ist eine Goldgrube. Es gibt ja nur sehr wenige Seen in der gesamten Sahara, geschweige denn Seen mit solchen Sedimentationsbedingungen.“ Die hervorragende Qualität der Sedimente ist unter anderem der vollkommenen Unberührtheit der Seengruppe zu verdanken. Im Niemandsland der zentralen Sahara, tausend Kilometer von der nächsten Großstadt entfernt, liegen die Sedimente seit ihrer Entstehung unberührt im Untergrund des Sees. „Bis heute wagen sich noch nicht einmal die Erdölleute dort hin“, erklärt Kröpelin. Das Hauptinteresse der Wissenschaftler gilt dem Klimaarchiv im Seegrund, das ihnen Daten zum sogenannten terrestrischen Ökosystem liefert. Doch nebenbei zeigen ihnen die Sedimente auch das Leben und Sterben der Seebewohner in Ounianga Kebir. Da der Binnensee seit tausenden von Jahren isoliert ist, lässt sich an den fossilen Lebewesen die Entwicklungsgeschichte des Sees und der Arten beschreiben. Die unbeeinflusste Entwicklung einzelner Tierund Pflanzenarten dürfte auch für Genetiker interessant sein, so Kröpelin: „Allein die Biologie und die Genetik in diesen Seen ist hoch interessant. Da kann man sagen: Hier haben sich viele Arten, über 10.000 Jahre inmitten extremer Trockenheit erhalten.“ Die Wissenschaftler haben die Hoffnung, bei ihren Bohrungen auch noch ein Stück des vorhergehenden Zeitalters, des Pleistozäns, zu erwischen. „Dafür braucht man ganz schweres Gerät, das wäre dann für die nächste Antragsphase der Förderung“, erklärt Kröpelin.

Klimageschichte des Kontinents

Die Daten aus dem Projekt sollen zu einem wichtigen Eckstein in numerischen Klimamodellen werden, die die langfristigen Veränderungen des Weltklimas beschreiben. Dafür eignet sich das Untersuchungsgebiet besonders gut: Zum einen liegt es in einem relativ homogenen Raum, der Sahara, der mehr als ein Drittel des afrikanischen Kontinents einnimmt. Dadurch können Aussagen über den Klimawandel in einem Gebiet von über achteinhalb Millionen Quadratkilometern getroffen werden. Hinzu kommt, dass es sich bei Afrika um einen bewohnten Kontinent handelt, sodass sich hier Klimaänderungen zeigen, die auch tatsächlich Menschen betroffen haben. Klimadaten aus der Arktis oder Antarktis hingegen lassen sich nur beschränkt auf die Umweltbedingungen auf den von Menschen bewohnten Kontinenten übertragen. „Da der afrikanische Kontinent durch den Äquator in zwei Hälften geteilt ist, kann man dann auch noch die Klimageschichte der Nord- und Südhemisphäre vergleichen“, beschreibt Kröpelin die Relevanz der Ergebnisse. „Ich würde sagen, dass ein Kern von dort um ein Vielfaches aussagekräftiger ist als jeder Eiskern aus der Antarktis. Jedenfalls wenn man an dem Schicksal der bewohnbaren Kontinente interessiert ist“, sagt Kröpelin. Anhand der in den letzten dreißig Jahren Forschung gewonnenen Erkenntnisse können die Wissenschaftler aus Köln schon ein Szenario der letzten 12.000 Jahre schreiben. Die Sahara, heute eine der trockensten Wüsten der Welt, verwandelte sich rund 8500 Jahre vor der Zeitenwende in eine blühende Savannenlandschaft, die Menschen und Tieren Nahrung bot. Ein Paradies für relativ sesshafte Jäger und Sammler, später aber auch für Hirtennomaden entstand. Grund dafür waren die jährlich einsetzenden Monsunregen aus den Tropen, die sich nach Norden verschoben. Eine „grüne Sahara“ war die Folge. Gras, Sträucher und Akazien wuchsen dort, wo heute Sanddünen das Land bedecken. Flüsse und Seen boten sogar Krokodilen einen Lebensraum. Menschen besiedelten die Landschaft, ihre Hinterlassenschaften lassen sich an vielen Orten finden. So wie in den Felsmalereien im ägyptischen Gilf Kebir Plateau, wo die bekannten „Schwimmer in der Wüste“ offene Wasserflächen belegen. Doch spätestens ab 5300 Jahren vor unserer Zeit mussten sich die nomadisierenden Hirten zunehmend in Gunstgebiete zurückziehen. Es wurde wieder trockener und die menschliche Besiedlung verschob sich nach Süden und ins Niltal, wo die pharaonische Hochkultur entstand.

Unberührt seit Jahrtausenden

Die Bohrungen im Ounianga Kebir sind ein weiterer Höhepunkt einer inzwischen
dreißigjährigen Geschichte der Erforschung der Ostsahara durch Kölner Wissenschaftler. Die Afrikaforscher setzten dabei seit dem Anfang ihrer Arbeit in den siebziger Jahren auf einen sowohl methodisch als auch räumlich breit angelegten Forschungsansatz: geologische, archäologische, archäobotanische und archäozoologische Untersuchungsdaten flossen in ihre Ergebnisse ein. Messergebnisse von Orten in der ganzen Ostsahara wurden gesammelt und ausgewertet. So erhielten die Wissenschaftler ein zuverlässiges und komplettes Bild der vorgeschichtlichen Klimaabläufe, wobei einzelne Daten nicht unverhältnismäßig stark gewichtet wurden. Denn einzelne Bereiche der Ostsahara können durchaus abweichende individuelle Klimaentwicklungen aufzeigen. „Es handelt sich hier um eine Fläche so groß wie Westeuropa. Wir haben an tausenden von Punkten Daten gewonnen, nicht nur an einem und sagen dann: Das ist repräsentativ“, so Kröpelin. Zu Hilfe kam den Forschern die räumliche Isolation ihres Untersuchungsgebietes. Die Ostsahara ist seit 5000 Jahren unbewohnt, sie ist ein einzigartiges Untersuchungsfeld, das Klimadaten und archäologische Funde wie eine Fliege im Bernstein konserviert hat. Klimawandel und Veränderungen der Umwelt, vorgeschichtliche menschliche Besiedlung und Anpassungsstrategien der frühen Saharabewohner an das sich ändernde Wetter – das alles lässt sich ohne Störungen durch spätere menschliche Eingriffe ablesen.

Neuland für die Wissenschaft

Das Gebiet in der tschadischen Sahara, in das sich die Kölner Expedition wagt,
ist trotz der sporadischen Besuche der Wissenschaftler noch weitgehend unerforscht. Den Geologen Kröpelin reizt die Chance, hier wieder vollkommenes Neuland der Forschung zu betreten. „Das sind die letzten Wissenschaftsfronten, die man als Geograph oder als Geologe auf der Erdoberfläche noch haben kann“, sagt der Wissenschaftler. „Bald muss man auf den Mars gehen oder wenigstens auf den Mond.“ Unzählige Entdeckungen verbergen sich noch in dem praktisch unbewohnten Raum von zwei Millionen Quadratkilometern: von Klimaarchiven bis zu Felsbildern und von unentdeckten Arten bis hin zu Goldschatz in der Sahara Treasure in the Sahara Meteoritenfeldern. Ein Lebenswerk und eine Herausforderung für Kröpelin. „Ich würde sagen, das ist im Grunde immer noch die unerforschteste Region der Erde. Die Antarktis ist da besser bekannt“, resümiert der Kölner Afrikaforscher. „Es ist noch unendlich viel zu tun.“